LAUDONGASSE
Ein Projekt im Rahmen der Ausstellungsreihe „Space Invasion“.
Kuratiert von Elsy Lahner & Herbert Justnik im österreichischen Museum für Volkskunde.
A Project within the series „Space Invasion“. Curated by Elsy Lahner & Herbert Justnik.
Februar – März 2008

Raum 3 / Schriftzug gemeißelth

Raum 3 / Bett, Tisch, Sessel

Raum 3 / Bett, Tisch, Sessel

Raum 1,2,3 Durchsicht

Raum 2 / Haus aus Teppichfliesen, Wandritzung

Raum 2 / Wandritzung

Schranke / reicht durch das Portiersfenster in die Toreinfahrt

Sammlung Volkskundemuseum / Tapetenfragment aus Raum 3
SPACE INVASION
Drei Ausstellungen junger Kunst in der ehemaligen Portierswohnung des Österreichischen Museums für
Volkskunde
Auszug aus dem Projekttext von Herbert Justnik
Vom 23.01. bis 27.04.2008 fand im Österreichischen Museum für Volkskunde die Ausstellungsreihe „Space Invasion“ statt. Drei in Österreich lebende KünstlerInnen präsentierten für jeweils etwa drei Wochen in aufeinanderfolgenden Ausstellungen raumspezifische Arbeiten, die sich mit der ehemaligen Portierswohnung des Museums für Volkskunde auseinandersetzten. Das Format „Space Invasion“ wurde 2006 von der freischaffenden Kuratorin Elsy Lahner entwickelt. Die Ausstellungsreihe findet geblockt und in wechselnden Räumlichkeiten statt, um in temporären „Invasionen“ zu einer kulturellen Belebung des jeweiligen Stadtviertels beizutragen. Außerhalb des etablierten Kunstbetriebs werden jene zeitgenössischen Kunstpositionen vorgestellt, die die österreichische und internationale Kunstszene von morgen prägen werden. Ziel ist es, diese Positionen in neuen Zusammenhängen zu zeigen und auch die Wiener Kunstlandschaft um eine Facette zu bereichern. Schauplatz der ersten Ausstellungsreihe im Frühjahr 2006 war ein leerstehendes Geschäftslokal in der Nähe des Südbahnhofs. In drei einwöchigen Ausstellungen wurden dort Arbeiten junger KünstlerInnen aus dem Bereich der Video- und Rauminstallation gezeigt.
Für die zweite „Invasion“ wurde als Ausstellungsort ein Raum im 1. Bezirk, in einer kleinen Passage am Bauernmarkt, gewählt, dieses Mal mit dem Schwerpunkt Malerei, Zeichnung und Grafik. Die dritte Station war die Laudongasse. Die Portierswohnung des Volkskundemuseums stand in den letzten Jahren leer und wurde als Abstellraum genützt. Die Räume lassen noch klar erkennen, dass sie bis vor kurzem als Wohnraum gedient haben und stellen damit alles andere als einen „White Cube“ – den neutralen weißen Raum, von dem Kunst bei ihrer Präsentation nicht beeinflusst wird – dar. Während der „White Cube“ ein ästhetisch vordefinierter Raum ist, hat man es hier mit Zeichen lebensweltlicher Nutzung zu tun. Räume, in denen sich mehrere Funktionszusammenhänge kreuzen und die vielfältige Reaktionsmöglichkeiten für die KünsterInnen boten. Es handelt sich bei dieser Wohnung nicht um eine klassische Situation in einem Wohnhaus, sondern um Räumlichkeiten die in einem konkreten funktionalen Verhältnis zum Museum standen, privater Raum in einem öffentlichen Gebäude. Die/der Hausmeister/in stand in einem Beschäftigungsverhältnis zu Museum und hatte auch einen Teil ihres/seines Arbeitsplatzes in diesen Räumen. Diese liegen in einem speziellen Gebäudetypus, ein Verhältnis, das ebenfalls Anreize zur Auseinandersetzung bot. Gleiches galt für die Situation des Volkskundemusems im Palais Schönborn, dem ehemaligen Sommersitz der Fürsten. Historische, herrschaftliche Architektur, die in ein kulturwissenschaftliches Museum umfunktioniert wurde und sich nun der Repräsentation von Geschichte/n und kulturellen Fragestellungen widmet. Sowohl die architektonische Situation, als auch die Funktion des Museums als Wissensspeicher wurden als Anregungen gesehen. Die erste Ausstellung wurde von Corinne L. Rusch gestaltet und bearbeitete unter anderem das Feld der Herrschaftsrepräsentation über Architektur. Für den zweiten Teil der Reihe beschäftigte sich Markus Hofer mit dem Produktionsprozess von Geschichte/n. In der abschließenden dritten Präsentation widmete sich Gregor Graf der Thematik des Wohnens. Neben den jeweiligen Ausstellungen erstreckten sich die künstlerischen Interventionen auch auf das Museum selbst und setzten dort Spuren – in der Schausammlung und im Hof des Museums. Künstlerische Positionen, die in ein bestehendes Setting eingreifen, in diesem Fall einen marginal genutzten, dem Publikum nicht zugänglichen Raum und die Schausammlung, ermöglichen es, eine gewohnte Präsentation zu irritieren. Diese Irritation kann auf ganz banalen Operationen basieren: Gegenüberstellung, Austausch, Verdeckung, Fokussierung, Akzentuierung. Mit Eingriffen dieser Art in die Struktur werden Details verschoben, die einen Bruch in der Gesamtwahrnehmung erzeugen. Die Betrachter werden dadurch gezwungen, die Irritationen zu bearbeiten und ihren störenden Charakter zu beseitigen. Durch die Auseinandersetzung aber entsteht automatisch eine neue Sichtweise, die die ursprüngliche Situation reflexiv gewendet darstellt. Das Publikum entdeckt neue Zusammenhänge im Museum. Objekte werden, Lücken hinterlassend, aus dem Bestand genommen und aus einer künstlerischen Sicht heraus an anderem Ort im Sinne einer Bricolage arrangiert. Neben den klar definierten und beschriebenen Museumsobjekten können sich neue Objekte fast wie Fremdkörper einfinden oder erstere auch verdecken.
GREGOR GRAF 02.04 bis 27.04.2008
geboren 1976 in Wien, lebt und arbeitet in Linz, zahlreiche Ausstellungen im In- und Ausland, u.a.
ACF/Visual Arts Platform, London, 2008
Auch Gregor Graf wählte für seine Inszenierung einen ganz individuellen Zugang. Nachdem es bei den ersten beiden Ausstellungen von „Space Invasion“ um Herrschaftsrepräsentation durch Architektur (Corinne L. Rusch) und das Produzieren von Geschichte/n (Markus Hofer) ging, behandelte Graf nun das Thema des Wohnens anhand dieser Substandardwohnung in einem Museum. Eine Vermischung von privatem und öffentlichem Raum thematisierte der Künstler im ersten Zimmer der Wohnung. Dieses grenzt direkt an ein Eingangstor, durch welches früher die BesucherInnen in das Gebäude kamen. Über ein kleines Fenster konnte die/der Portier/e die Hereinkommenden kontrollieren. Als Symbol für diese Zugangsbeschränkung stand für den Künstler die Schranke, deren Verankerung er allerdings nicht in der Durchfahrt, sondern in der Wohnung ansetzte. Durch das Beobachtungsfenster reichte dann der Balken in den öffentlichen Raum hinaus. Damit wies er auf die einstige Zwitterfunktion dieses Zimmers hin: einerseits privater Wohnraum – Koch- und Waschbereich –, andererseits aber auch Arbeitsplatz für das Museum. Gregor Grafs mehrteilige Installation entstand in intensiver Beschäftigung mit den vorgefundenen Gegebenheiten. Als sichtbares Zeichen dieser Auseinandersetzung ver-wendete er bei seinen Interventionen im zweiten und dritten Raum der Ausstellung vor-handenes Material aus der Wohnung. Im zweiten, mittleren Raum befand sich ein stilisiertes Haus, gebaut aus Teppichfliesen. Die Innenräume des Gebäudes waren wie ein Schattenriss dahinter in den Putz geritzt – der Traum vom Einfamilienhaus in der Substandardwohnung als Projektion an der Wand. Im dritten und letzten Raum fanden sich die unmittelbaren Utensilien des Wohnens – Möbel, die aus dem Holz einer Wandverkleidung, die noch von der Ausstellung von Corinne L. Rusch stehengelassen wurde, gebaut wurden. Auch hier arbeitete der Künstler mit vorhandenem Material. Andernorts befanden sich noch die Briefschlitze der zweiten Ausstellung von Markus Hofer. Diese waren zurückgelassen worden, um die neue Nutzung dieser ehemaligen Wohnräume als Ort einer künstlerischen Auseinandersetzung zu dokumentieren. Auch sie waren nun zur Geschichte dieser Wohnung geworden und veranschaulichen den Bedeutungswandel
dieses Ortes – von der Wohnung zur Rumpelkammer und nun temporär zum Kunstraum. Graf hatte Mobiliar aus der Holzwand ausgeschnitten und dieses aus der Wand heraus-geklappt. Einerseits konstruierte er hier Tisch, Stuhl und Bett, die man zum Wohnen braucht, andererseits verwies er gerade mit diesen in Wirklichkeit unbrauchbaren Möbelstücken auf die Abwesenheit von BewohnerInnen. Er inszenierte einen eingerichteten, scheinbar bewohnten Raum und erinnerte damit an die ursprüngliche Funktion der Räume. Gleichzeitig deuteten die durch das Auschneiden der Möbel entstandenen Leerstellen in der Wand auch die Zerstörung eines vorhergegangenen Zustandes an. In der Wand des dritten Raumes hatte Gregor Graf durch Einritzungen ein Spruchtuch aus der Schausammlung des Museums nachgezeichnet, das wie der Abdruck von etwas ehemals Vorhandenem erschien. Mit dem darauf gestickten Text griff er ein Zitat aus dem vielfältigen Fundus an Metaphern und Sprüchen auf, wie sie rund um das Thema Wohnen und Heimat oft in Eigenheimen in Österreich auftauchen. Mit seinen Einritzungen und dem Herausnehmen von vorhandenen Materialien legte Graf auch versteckte Nutzungsspuren frei; er grub sich durch die Putz- und Teppichschichten und stieß wie ein Archäologe auf Geschichten der Wohnung. Der Künstler zitierte nicht nur in der Portierswohnung die Schausammlung des Museums, er betätigte sich auch selbst als volkskundlicher Sammler und Museumskurator. Ein Teil einer Tapete aus den Wohnräumen wurde – transformiert in ein Kunstwerk – als ein Zeugnis von Alltagskultur in die Schausammlung überführt.
Vollständig erschienen in der Österreichischen Zeitschrift für Volkskunde, Chronik für Volkskunde, Band LXII/111, Wien 2008, 171-178